James Shapiro, Contested Will

Besprochen von Richard Whalen

March 19, 2010

Wahrlich eine Premiere ist das, dass ein führender Vertreter des orthodoxen Establishments, Professor James Shapiro der Columbia University, die Debatte darüber, ob William Shakespeare von Stratford wirklich der Verfasser der ihm zugeschriebenen Gedichte und Stücke sei, ernst nimmt und das Thema nicht mit einer Handbewegung vom Tisch wischt, sondern ihm ein ganzes Buch widmet und damit vielleicht ein Zeichen für die Anerkennung der Verfasserschaftsfrage als eine forschungs- und diskussionswürdige Fragestellung in der akademischen Welt gesetzt hat, ungeachtet dessen, dass Shapiro selbst der Orthodoxie treu bleibt.

Shapiro schreibt die Geschichte der Verfasserschaftsdebatte, angefangen mit Delia Bacon in den 1850er Jahren bis zur "Declaration of Reasonable Doubt" 2007 und Einrichtung der zugehörigen Website www.DoubtAboutWill.org. Er anerkennt, dass der 17. Graf von Oxford der bei weitem eindruckvollste Herausforderer ist und die Oxfordianer in den letzten Jahrzehnten beachtliche Erfolge verbucht haben. Sein Schlusswort lautet, dass eine Wahl getroffen werden muss, eine einschneidende und folgenreiche Wahl.

Den Umschlag des Buches dürften eingefleischte Stratfordianer als einen Schlag ins Gesicht empfinden. Er zeigt das Monument in Stratford-on-Avon: ein Schreibender mit Feder, Papier und Kissen; aber das Gesicht verschwindet hinter dem Namen des Verfassers und dem Buchtitel Who Wrote Shakespeare? Schrieb oder nicht schrieb, das ist hier die Frage ja.

Shapiro nimmt indes gleich vorweg, dass dies nicht die Frage ist, der er nachzugehen gedenkt, sondern: Wie konnte es dazu kommen, dass so viele angesehene Leute an der Verfasserschaft Will Shaksperes aus Stratford Zweifel hegten und warum haben sie für einen anderen Urheber plädiert, zum Beispiel für Edward de Vere, 17. Graf von Oxford. Eigentlich hätte sein Titel nicht lauten sollen Wer schrieb Shakespeare?, sondern Wer hat Shakespeare als Verfasser abgeschrieben? Denn auf das Für und Wider die orthodoxe oder oxfordianische Zuschreibung geht er nicht nennenswert ein. Der unbefangene Leser muss den Eindruck erhalten, dass an der Frage, wer Shakespeare wirklich war, trotz der heftigen Verdammungen der Zweifler durch die Orthodoxie, die vom einfachen Buhruf über die Forderung nach Einweisung wegen unheilbarer Triebtäterschaft bis zur Komplizenschaft mit dem Holocaust reichen, doch wohl was dran sein könnte. Dass ein solch angesehener Forscher wie James Shapiro diesen Ansatz wählt, lässt sich für Oxfordianer recht versprechend an.

Unerschütterliche Stratfordianer werden natürlich aus dem Buch mühelos die Brocken herauszupicken wissen, die sie einerseits zur Verteidigung Will Shaksperes und anderseits zur Vertreibung Oxfords brauchen. Shapiro bietet ihnen hier und dort Munition genug für den einen oder anderen Schuss aus dem Hinterlader, jedoch keineswegs für ein Artilleriesperrfeuer. Dem unvoreingenommenen Leser, an den sich dieses Buch vor allem richtet, dürfte die Taktik durchschauen.

Die Antwort auf seine prästabilierte Frage - warum sind es der Zweifler soviele und soviele Vorzügliche? - nimmt Shapiro gleich zu Anfang generisch vorweg: Die Gegner der etablierten Position beziehen ihr Dys-Position aus ihrer je eigenen prästabilierten Disposition. Mit anderen Worten: Der Grund liegt in ihrem psychischen Unterbau, ihren stillschweigend vorausgesetzten Ansichten und Weltanschauungen. Der Großteil des Buches handelt davon: von den Prädisponiertheiten der Skeptiker - und der Oxfordianer-, Ein- oder Ansichten, die weitgehend aus einer Auswertung neuer Primärquellen gewonnen werden.

Ein anderes das Buch durchziehendes Argument besagt, dass die Schriftsteller des elisabethanischen und jakobinischen Zeitalters, einschließlich Shakespeare, ganz und gar aus ihrer Einbildungskraft und überhaupt nicht aus der eigenen Lebenserfahrung schöpften. Angesichts des weitgehenden Fehlens biografischer Informationen über den allergrößten Teil der Schriftsteller jener Zeit entbehrt eine solche Behauptung eines tragfähigen Fundaments, dürfte ansonsten jedoch kaum zutreffen. Sonderbarerweise untergräbt Shapiro sein eigenes a-biografisches Argument, wenn er anmerkt, dass Will Shakspere vermutlich seine Lebenserfahrungen in seinen Werken verarbeitete, wir jedoch über sein Leben zu wenig wissen, um derartige Stellen in seinem Werk zu verorten.

Oxfordianer können auf Oxfords dokumentiertes Leben verweisen, was Shapiro indes weitestgehend außer Betracht lässt. Er erwähnt lediglich einige wenige Konkordanzen zwischen Oxfords Leben und Shakespeares Werk, weist sie jedoch als nicht überzeugend zurück. Er versucht, die Kerndebatte über die Urheberschaft zu umsegeln, kann ihr jedoch letztendlich nicht ausweichen.

Shapiros Prolog eröffnet mit einem Paukenschlag, einer nach seinem Dafürhalten ausgefeilten antistratfordianischen Fälschung - die Geschichte von James Wilmot aus der Grafschaft Warwickshire, in der auch Stratford-on-Avon liegt. In der Zeit um 1785 begab sich Wilmot Stratford in Stratford und Umgebung auf die Suche nach Zeugnissen über Shakespeare als Dichter und Stückeschreiber. Als er dabei nicht fündig wurde, schloss er, dass Shakespeare in Wahrheit Sir Francis Bacon gewesen sein müsse. Wilmot teilte einem Freund seine Überzeugung mit, schwor diesen aber auf Geheimhaltung ein. Wie wahrscheinlich von Wilmot selbst erhofft, hielt sich der Freund nicht daran und offenbarte 1805 Wilmots These in zwei Vorträgen die Geschichte. Als Shapiro die Vortragsmanuskripte untersuchte, fielen ihm einige Anachronismen auf, die zu dem Verdacht führten, es handele sich um die Fälschung eines Baconianers um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, vermutlich um einen Versuch, die inzwischen für Oxford geltend gemachten Ansprüche zu konterkarieren.

Was Shapiro in diesem Zusammenhang verschweigt, ist, dass Daniel Wright der Concordia University bereits sieben Jahre zuvor zu diesem Schluss gelangt war, nachdem ihm John Rollett von der De Vere Society seinen eigenen Verdacht mitgeteilt hatte. Professor Wright berichtete über seine Untersuchungen während einer Konferenz an der Concordia University und sein Vortrag wurde in der Sommerausgabe 2003 von Shakespeare Matters abgedruckt. Shapiro erwähnt den Artikel in seinem in Essayform gestalteten Literaturverzeichnis. Es bleibt damit zwar unausgesprochen, aber wird gleichwohl verstohlen suggeriert, dass wenn auch die Stratfordianer sich vieler Betrügereien und Fälschungen schuldig gemacht hätten, die Urfälschung zumindest ihrer vorgegebenen Datierung nach auf antistratfordianische Motive zurückginge. Und natürlich, dass er, Shapiro, nun endlich den Betrug erschlug.

Dann folgen die vier Kapitel des Buches; sie sind einfach überschrieben: „Shakespeare", „Bacon",  „Oxford" und wieder „Shakespeare"; dazu kommen noch ein Nachwort und ein langer bibliografischer Essay.

Getreu seinem Vorhaben befasst sich Shapiro im ersten Kapitel "Shakespeare" nicht mit dem Nachweis  von Shakespeares Dramatikerkarriere. Im Zentrum stehen die Verabgötterung Shakespeares, der Drang, mehr über sein Leben zu erfahren, und die Fälschungen des William Henry Ireland und John Payne Collier, die neue „Nachweise" für den Dichter und Stückeschreiber Shakspere erfanden.

Irelands Fäschungen wurden von Edmond Malone (1741-1812), dem führenden Shakespeareforscher des achtzehnten Jahrhunderts, entlarvt. Doch Malone erntet dafür keineswegs nur Shapiros Beifall, sondern gerät in seine Schusslinie, weil seine Versuche, Spuren von Shaksperes Leben in den Stücken zu finden, jenem Bestreben Auftrieb gab, in einem Produkt künstlerischer Einbildungskraft gleichsam mit der Wünschelrute nach biografiehaltigen Stellen zu suchen und sich in maßlosen Spekulationen zu ergehen. Edmond Malone, der Ahnherr der empirischen Shakespeareforschung - das ist festzuhalten -, der Ende des achtzehnten Jahrhunderts verbissen den durch die von William Henry Irelands Imagination geschaffene Objekte (Haarlocke von Shakespeare an Anne Hathaway, Lehne von Shakespeares Sessel, usw.) ausgelöste Shakespearefetischismus bekämpfte, wird von Shapiro, dem Befürworter einer rein imaginativ begründeten Kunstwerktheorie, heftig gescholten.

Sodann erblickt Shapiro in der Verkettung gewisser Trends in der Welt der Geisteswissenschaften die Vorbereitung des Bodens für die zunehmende Skepsis hinsichtlich Shakspere als Shakespeare. Glieder dieser Kette sind u. a.: Malones autobiografische Spekulationen, die Erforschung von Shaksperes Leben, die nur Dokumente zu geschäftlichen Transaktionen ans Licht brachten, und wachsende Zweifel darüber, ob er wirklich alle Werke des Shakespearekanons geschrieben hat, kombiniert mit den aufkeimenden Zweifeln über die Person Homer und über die Bibel als zuverlässige Quelle für das Leben Jesu. Shapiros These ergibt sich aus einer beeindruckenden Vermischung und Verschmelzung vieler literarisch-kulturellen Trends.

Wie eigentlich zu erwarten, enthält das Kapitel "Bacon" weit mehr Informationen über Delia Bacon (1811-1859), eine Amerikanerin, als über Sir Francis Bacon, den Verfasserschaftsanwärter. Unter Ausnutzung von Informationen aus Erstquellen beschreibt Shapiro ausführlich, wie Delia Bacons Herkunft und romantischer Weltschmerz ihre Überzeugung nährten, dass Shakespeare nicht der Mann aus Stratford sein konnte. Delia Bacon war eine schillernde, wortgewandte Kommentatorin von Shakespeares Werk. Ihr 1857 veröffentlichtes Buch war das erste, in dem die These aufgestellt wurde, dass die Bühnenstücke von Aristokraten geschrieben sein müssten - ein meteorartiger Einschlag in einer Zeit ungezügelter Bardenanbetung. Delia Bacon war kompromisslos; ihren Zeitgenossen erschien sie als obsessiv. Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte sie in einer psychiatrischen Heilanstalt. Die meisten Stratfordianer haben nur Hohn für Delia Bacon übrig, aber Shapiros Darstellung ist eher sympathetisch; er beschreibt sie als eine präzise formulierende, freimütige Frau - eine Außenseiterin auf dem von Männern dominierten Feld literarischer Kritik und öffentlicher Vorlesungen, die radikale Ideen über Shakespeare vortug. Es ist möglich, dass sie durch die Abstempelung als Hysterikerin, das ausgrenzende Generaletikett des neunzehnten Jahrhunderts, unberechtigterweise verunglimpft worden sei.

Als nächster Zweifler ist im Bacon-Kapitel Mark Twain an der Reihe, der sich selbst davon überzeugte, dass jegliche Fiktion, insbesondere seine eigene, autobiografisch ist (was Shapiro verneint) und sich in die geheimnisumwobene Welt der Chiffren hineinziehen ließ (die Shapiro auseinander nimmt). Henry James' zwiespältiges Sinnieren über die Verfasserschaftsfrage habe sich nicht minder um James' eigenes als um Shakespeares Genie und Vermächtnis gedreht und könne daher keinen Maßstab setzen. In einigen wenigen Absätzen über den Misserfolg des Ignatius Donelly, für seine Dechiffrierungen eine Gefolgschaft hinter sich zu scharen, und über die unterschiedlichen Schreibstile des Essayisten Bacon und des Dichters und Dramatikers Shakespeare wird Sir Francis Bacon, der mehrheitlich propagierte alternative Kandidat, gegen Ende des neunzehnten und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, verworfen.

Shapiros Methode, die Prädispositionen der frühen Skeptiker zu sezieren, um ihre Skepsis erst zu zerlegen und dann zu erlegen, lässt sich allerdings auch gegen ihn selbst wenden. Als einer, dessen akademische Karriere mit dem Stratford-Paradigma engstens verbunden ist, muss die Frage gestellt werden, ob Shapiro im Stande ist, die durch diese Voraussetzung konstituierte eigene „Prädisposition" auch nur versuchsweise... zur Dispostion zu stellen.  An der Chicagoer Universität hat er über Shakespeare promoviert, an der Columbia University über Shakespeare habilitiert und seit fünfunzwanzig Jahren gelehrt; schließlich hat er bisher zwei Bücher über Shakespeare geschrieben, Shakespeare and the Jews (1996) und 1599 - A Year in the Life of William Shakespeare (2005). Diese Prädisposition zeigte sich darin, dass er jegliches Gespräch mit Oxfordianern höflich ablehnte, während er an seinem Buch schrieb.

Das Kapitel "Oxford" behandelt siebenundachtzig Jahre Geschichte des Oxfordianismus, von 1920, als J. Thomas Looneys sein Buch veröffentlichte, in dem er Oxford als Shakespeare identifizierte, bis zur Einrichtung der Webseite www.DoubtAboutWill.org im Jahr 2007. Shapiro versucht Punkte gegen Oxford zu sammeln, aber eine Chronik des Oxfordianismus, seiner Irrungen und Wirrungen vor allem, führt noch nicht von selbst auf den richtigen Erkenntnisweg der zugrunde liegenden Frage. Allemal gibt sich Shapiro in diesem Kapitel weniger schroff und abweisend als die meisten seiner schrillere Töne anschlagenden Kollegen und er beschreibt den Erfolg der oxfordianischen Bewegung gar mit ehrlicher Bewunderung.

Das Kapitel eröffnet mit Sigmund Freuds Vorstellung, dass Hamlet das Leben des Verfassers widerspiegeln müsse. Shapiro geht Looneys Einfluss auf Freud nach und schließt, dass Freud, ein Mann mit nonkonformistischen Ansichten und ein entschiedener Befürworter von Oxford als Verfasser der Shakespearschen Werke, sich selbst etwas vormachte und dabei offenbarte, dass es ihm mehr darum ging, eine Bestätigung für seine Theorie der ödipalen Struktur des Unbewussten zu finden, als herauszfinden, ob Oxford wirklich Hamlet geschrieben habe. Seine Analyse von Freud mag man schürfend nennen, aber bei seinen Schlussfolgerungen zu dem, was er als Freuds zerrissene Obsession, in Shakespeare Oxford erkennen zu wollen, kennzeichnet, surft er in seichten Gewässern.

Shapiro bewundert Looneys Buch "Shakespeare" Identified in Edward de Vere, Seventeenth Earl of Oxford, über dessen Entstehungszusammenhang er gründliche Forschungen angestellt hat. Er schreibt, dass Looney stark von seiner besonderen Weltanschauung geprägt war. Looney war ein Anhänger von Auguste Comtes positivistischer Philosophie. In England nahm diese Philosophie Züge einer Religion an, in der Shakespeare verehrt wurde. Shapiro legt recht breit dar, wie Looney danach trachtete, ein positivistischer Priester der Menschheit zu werden. Die neuen Informationen, die Shapiro gesammelt hat, führt er als Beweis dafür an, dass Looney eine feudalistische, reaktionäre, antidemokratische und autoritäre Persönlichkeit war. Shapiro verurteilt Looney letztlich auch noch durch das schale Lob, Looney sei trotz gewisser Äußerungen über die Notwendigkeit, die Juden zu assimilieren, alles andere als ein Nazisympathisant gewesen.

Im Endeffekt läuft Shapiros Kritik an der Weltanschauung und der vorgefassten Meinungen der frühen Zweifler, Baconianer, Oxfordianer, natürlich einschließlich Looney, auf ein Argument ad hominem hinaus, das sich über die ultima ratio zum Argument post rationem schwingt: Liebst du die Botschaft nicht, hänge den Boten. Shapiros spezifische Kritik an Looney besteht darin, dass Looney davon ausging, dass Shakespeares Stücke nicht aus lukrativen Absichten geschrieben wurden und autobiografisch waren. Gleichzeitig kritisiert er seine stratfordianischen Mitstreiter wegen ihres Herumalberns über den Namen Looney [dessen sich auch bestsellernder Bill Bryson nicht zu enthalten vermochte. Anm. des Übersetzers] und gleichzeitig lehnt er Looneys "Shakespeare" Identified ab und preist es als ein überwältigendes Werk und eine gewaltige tour de force.

Shapiro schließt mit der Bemerkung, dass Oxford aus einer Reihe von Gründen alsbald Bacon und andere Bewerber als führender Kandidat ablöste, weil sich die autobiographischen Akkorde in den Stücken überzeugender ausnahmen. Zeitgenossen priesen Oxford, einen Aristokraten, für seine Dichtung und seine Bühnenstücke; und seine frühen Schriften, wie gering an der Zahl auch immer, schienen Shakespeare anzukündigen. Looneys Buch war ein leidenschaftliches und entschlossenes Plädoyer, seine Gefolgsleute standen fest zu der Sache. Heutige Oxfordianer könnten dieser Einschätzung gewiss beipflichten.

Nach einem knappen Überblick über mehrere den Oxfordianern bestens bekannte Anhänger und publizistisch wirkende Vertreter der Oxford-These untersucht Shapiro deren Prädispositionen und Bemühungen, neue Wege zum Beleg der Oxfordchen Verfasserschaft zu belegen. Wie die Baconianer, schreibt er, machten sich die Oxfordianer daran, Gründe dafür aufzutreiben, die Werke diversester Elisabethaner Oxford zuzuschreiben, darunter Marlowe, Spenser, Gascoigne, Montaigne, Thomas Nash, Anthony Munday, John Lyly, Robert Greene und Arthur Brooke. Shapiro bezeichnet solche Bemühungen als draufgängerisch. Führende oxfordianische Vertreter sind dabei in der Regel natürlich vorsichtiger und sehen allenfalls mögliche Gründe, die vielleicht für die Namen Brooke, Greene, Nash und Lyly sprechen könnten, nicht jedoch für die anderen namhaften Autoren. Wie dem auch sei, die grundlegenden Argumente für Oxford als Shakespeare berührt dies nicht.

Shapiro benutzt dann, die sogenannten Lord-Admiral- und Prince-Tudor-Hypothesen, um das Argument für Oxford zu diskreditieren. Er merkt an, dass Looney und Freud die Prince-Tudor-Theorie verabscheuten. Letztere geht davon aus, dass der dritte Graf von Southampton der Spross aus einer Beziehung zwischen dem Grafen von Oxford und Königin Elisabeth wäre, erstere hält dafür, dass Oxford der Sohn aus der Beziehung zwischen der Königin Elisabeth und Lord Thomas Seymour, seinerzeit Lord Admiral, ist. Inzest und wieder Inzest. In seinem Vorwort erzählt Shapiro, wie eine Neunjährige ihn fragte, ob Shakespeare oder jemand anders Romeo and Juliet schrieb, und wie erleichtert er war, nicht nach dem inzestuösen Liebesleben der Jungfrau-Königin gefragt worden zu sein. Shapiros Taktik ist eher der neckische Seitenhieb als die frontale Sprachialgewalt.

Diese beidem Hypothesen offenbarten Shapiro zufolge den sehnlichen Wunsch der Oxfordianer, eine Geschichte über Oxfords traumatisches Leben in Shakespeares Stücken zu entdecken. Mutmaßungen über Verschwörungen und Vertuschungen können nicht ausbleiben, merkt er an, fügt jedoch hinzu, dass die Meinungen der Oxfordianer  in dieser Frage geteilt sind.

Bei der Erwähnung früher oxfordianischer Forscher geht Shapiro äußerst selektiv zu Werke. Wenig bis nichts hat er zu sagen über die gründlich recherchierten Bücher und Artikel von Eva Turner Clark, Dorothy und Charlton Ogburn sowie Ruth Loyd Miller, alles wichtige Werke, die Oxfords Biografie in Shakespeare nachweisen. Drei Seiten widmet er dagegen Percy Allen, der in einer spiritistischen Sitzung ein Medium benutzte, um mit Shakspere, Bacon und Oxford ins Gespräch zu kommen, die ihm bestätigten, dass Oxford Shakespeare sei, und ihm einen Wink über den Ort gaben, wo die Manuskripte zu finden sein würden.

Shapiro stellt jedoch milde fest, dass der Spott, den die Stratfordianer über Percy Allen ergießen, insofern vielleicht nicht ganz fair ist, als verstorbene Schriftsteller in ihren Schriften zu den Lebenden sprechen und Professoren ihren Lebensunterhalt daraus bestreiten, die Werke toter Autoren grabüberwindend zum Sprechen zu bringen. Er hätte noch ergänzen können, dass der Spiritismus im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine breite Anhängerschaft hatte, darunter auch prominente Persönlichkeiten, und in den 1920er Jahren seinen Höhepunkt erreichte.

Shapiro beschreibt geschickt die beeindruckenden Erfolge der oxfordianischen Bewegung. In den frühen 1980er Jahren, schreibt er, hätten sich die Oxfordianer selber den Erfolg nicht vorstellen können, dessen sie sich 2010 erfreuen können. Plastisch malt er diesen Erfolg aus in einem imaginären Artikel in The Shakespeare Oxford Newsletter im Jahr 2010:

  • Die Universitäten bieten Studienabschlüsse im Fach Verfasserschaftsfrage an;
  • Unterstützung aus Theaterkreisen von namhaften Schauspielern, u. a. Sir Derek Jacobi und Mark Rylance;
  • Bücher von Privatgelehrten und Bücher für junge Erwachsene bei angesehenen Verlagen;
  • Hochschulstudentenwettbewerbe für den besten oxfordianischen Essay;
  • Hauptartikel in Zeitschriften wie Atlantic und Harper's, in einer Tageszeitung wie The New York Times sowie Radiosendungen im NPR (öffentlich-rechtlicher Rundfunk);
  • Moot-Court-Debatten (Scheintribunale) unter Beteiligung von Richtern an den höchsten US-amerikanischen und britischen Gerichtshöfen;
  • Peer-reviews (anonyme Begutachtungen von Artikeln durch Fachleute) in oxfordianischen Zeitschriften;
  • Internationale Konferenzen;
  • Oxfordianische Editionen von Shakespearestücken für Lehrer;
  • Beeindruckende Beiträge in Wikipedia und auf Internetwebseiten, die professioneller und anspruchsvoller sind als stratfordianische Webseiten;
  • Zahlreiche Diskussionsforen im Internet.

Und all dies, seufzt Shapiro, ohne jedes neue Dokument als Beweisstück.

Dann folgt eine respektvolle Beschreibung von John Shahans Webseite DoubtAboutWill.org, die bewusst anti-stratfordianisch und nicht erklärtermaßen pro-oxfordianisch gehalten ist.   

Zum Schluss des Kapitels "Oxford" geht Shapiro die Meilensteine in der Geschichte der oxfordianischen Gesellschaften und die seit 1980 verbuchten Erfolge durch. Er sieht in dem Scheintribunal vor drei Richtern (John Paul Stevens, Harry Blackmun, William Brennan) des obersten Gerichtshofes am 25. September 1987 das überragende Ereignis, das die Verfasserschaftsfrage salonfähig machte. Weiter verweist er auf die PBS-TV Frontline-Programme, Charles Beauclerks Vorträge und Fernsehauftritte, Roger Stritmatter Promotionsarbeit über die Markierungen in Oxfords Bibel  sowie William Niederkorns Artikel in The New York Times.

Shapiro vertritt die Ansicht, dass Niederkorns Artikel viel zur Förderung der Oxford-These beigetragen haben; seine Zitate aus diesen Artikeln sind jedoch faktisch richtig und objektiv. Nur findet er es etwas ärgerlich, dass Niederkorns Artikel das Bewusstsein einer Verfasserschaftskontroverse stärkten - etwas, das auch Shapiros eigenes Buch bewirken wird. Nach diesem generösen Bericht über die von den Oxfordianern erzielten Erfolge könnte der unvoreingenommene Leser durchaus schließen, dass für Oxford als Shakespeare offenbar doch einiges spricht.

Im letzten Kapitel "Shakespeare" (und im Nachwort) werden die bekannten Argumente für Shakspere vorgebracht, aber dies in einer merkwürdig planlosen Weise; vor allem aber bietet uns Shapiro hier seine eigene imaginäre Biografie von Shakspere als Dichter und Stückeschreiber. Er behauptet, dass, wäre Shakspere nicht Shakespeare gewesen, die Buchkunden, Drucker und Theaterbesucher dies gewusst und der Nachwelt eine entprechende Information hinterlassen hätten. Unter den Oxfordianern, schreibt er, bestehe keine Einigkeit darüber, wie eine so weit hergeholte Verschwörung - sollte es sie denn gegeben haben - zur Vertuschung von Oxfords Autorschaft, hätte gelingen können. Falls Oxford seine Verfasserschaft zu verhehlen wünschte, hätte er die Stücke anonym lassen können. Der Bindestrich in "Shake-speare" stelle keinen Beweis für ein Pseudonym da; es handele sich vielmehr um die Schrulle eines Setzers.

Shapiro macht nicht viele Fehler, aber bei der Frage, wie der Name geschrieben wurde, unterläuft ihm doch einer. Um zu zeigen, dass es keinen Unterschied zu den verschiedenen Schreibweisen von Shakspere aus Stratford gab, behauptet er, dass die frühen Ausgaben den Namen als "Shakspere" wiedergegeben hätten. In Wirklichkeit findet sich der Name ungefähr in dieser Schreibweise nur ein einziges Mal: auf der Titelseite des 1598er Quartos von Love's Labor's Lost; nur ungefähr allerdings, denn dort steht "Shakespere" geschrieben.

Er führt auch die Schreibweise „Shaxberd" in den „Revels Accounts" (die Rechnungsbücher für die Hofunterhaltungen) für das Jahr 1604 an; diese wurden jedoch zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung (1842) durch Peter Cunningham, den Adlatus des notorischen Fälschers John Payne Collier, für unecht erklärt. Dass es sich um eine Fälschung handelt, ist auch später durch Samuel A. Tannenbaum akribisch nachgewiesen worden, aber später entschied sich das Shakespeare-Establishment für ihre Echtheit, vermutlich weil sie die damals geltende Chronologie so vorzüglich erhärtete, was möglicherweise der Grund war, weshalb Cunningham und sein Meister Collier sie fälschten.

[Peter Cunningham veröffentlichte sie, ein Gehilfe Colliers zwar, aber herausgegeben wurden sie doch unter dem Namen Cunningham. Die ursprüngliche Argumentation, dass sie als echt akzeptiert worden wären, weil der Name „Shaxberd" die willkürliche Schreibweise des Namens bewiese, halte ich für schwach, denn die Schreibweise „Shaxberd" findet sich nirgends und ist wegen der Endung auf einen stimmhaften Konsonanten auch höchst unwahrscheinlich. Anm. des Übersetzers.]

Wer immer die Stücke schrieb, fährt Shapiro fort, musste die Darsteller kennen, so dass er die Rollen auf die Fähigkeiten der einzelnen Schauspieler des Ensembles zuschneiden konnte, und Shakespeare war ein Schauspieler. Am überzeugendsten sind für Shapiro die unterschiedlichen Epiloge zu Heinrich IV., Teil II, einmal für das öffentliche Theater, einmal für eine Aufführung bei Hofe. Es ist nach Meinung Shapiros unvorstellbar, dass Oxford oder irgendein anderer als der nichtadelige Schauspieler Shakspere vor einem Hofpublikum den Epilog gesprochen haben könnte, in dem die Verfassserschaft des Stückes in Anspruch genommen wurde. Oxfordianer würden genau anders herum argumentieren.

Shapiro führt weitere Argumente ins Feld: die stratfordianische Interpretation von Groatsworth of Wit, das Lob für Shakespeare (Shapiros Mann von Stratford), Francis Meres' Auflistung nebeneinander von Oxford und Shakespeare als Dichter (nach Shapiros Ansicht ein mächtiger Beweis), die Parnassus-Stücke und Ben Jonsons mit Kritik vermischtes Lob für Shakespeare in Timber.

Für die Evidenz aus der ersten Folioausgabe der Stücke, die von Stratfordianern sehr selten ausgelassen wird, hat Shapiro nur zwei bloß beschreibende, argumentationsfreie Absätze übrig, ohne die offenkundigen Ambiguitäten zu erwähnen, auf die Oxfordianer hinweisen. Auf Diana Prices Argument, dass Shakspere keine Papierspur hinterlassen hat, geht er nur knapp ein, missdeutet aber Prices Aussage. Anderseits finden sich nicht weniger als zehn Seiten über das Blackfriars-Theater, die nichts mit der Verfasserschaftsfrage zu tun habe.

Als besonders windig erweist sich Shapiros Versuch, das antistratfordianische Argument zu entkräften, dass 1616 offenbar niemand es für wert befand, sich zum Tod des großen Dichters zu äußern. Er führt dagegen die 1619 von William Jaggard gedruckten Stücke an, die nach dem Verleger Thomas Pavier als Pavier-Quartos bezeichneten neun Stücke. Doch diese Ausgabe erfolgte erst drei Jahre nach Shaksperes Tod.

[Zu den neun Stücken gehörten außerdem zwei, die nachweislich nicht von Shakespeare stammen, ihm aber gleichwohl zugeschrieben worden - eine merkwürdige Weise, dem toten Autor zu huldigen. Außerdem ist die orthodoxe Standarderklärung für das Schreiben des Grafen von Pembroke an die Druckergilde, dass er eine einbändige Shakespeare-Ausgabe hätte verhindern wollen, der gleiche Pembroke, dem 1623 als einem der beiden Brüder die Folioausgabe gewidmet wurde. Shapiro erklärt uns nicht, ob er glaubt, Shaksperes angeblicher Gönner habe vier Jahre vor der Folioausgabe der Ehrung des Dichters einen Riegel vorgeschoben. Siehe Links: Die Autorschaftsfrage und Das Shakespeare Handbuch: Die Lord Chamberlains, Teil 1 und Die Autorschaftsfrage und Das Shakespeare Handbuch: Die Lord chamerlains, Teil 2 Anm. des Übersetzers]

Die letzten fünf Seiten des Kapitels „Shakespeare" handeln von neuerlichen orthodoxen Forschungsergebnissen, wonach fünf der späten Stücke stilometrische Anzeichen für eine Kooperation Shaksperes mit anderen Autoren enthalten. Shapiro kann sich nicht vorstellen, Oxford hätte mit irgendeinem anderen Autor zusammenarbeiten wollen. Das dürfte stimmen, aber seine Erwiderung auf die oxfordianischen Argumente, dass einerseits nichts von dem, was in den Stücken, von denen angenommen wird, sie seien Oxfords Tod 1604 geschriebenen, enthalten ist, als eindeutigen Beweis herhalten können, sie seien tatsächlich nach 1604 geschrieben, und anderseits bestimmte Autoren nach 1604 einige Stücke überarbeitet haben könnten, diese seine Erwiderung ist griesgrämig und halbherzig. Abschließend erlaubt sich Shapiro eine witzelende Stichelei über etwaige Koautoren, die sich nach Oxfords Tod bei einem Verkauf in einer Garage von fünf späten Shakespeare-Stücken Oxfords darüber streiten, wer die Stücke erhalten soll.

Im „Epilog" kehrt Shapiro zu seinem Argument zurück, dass wenngleich Fiktion in jüngerer Zeit oft autobiografische Elemente enthielt, dies in der Epoche Elizabeth' I. und Jakobs I.  nicht der Fall gewesen sei. Orthodoxe Forscher haben jedoch die gegenteilige These vertreten. Professor David Riggs etwa, der Biograf Ben Jonsons, vertritt die Ansicht, dass Ben Jonson seine Stücke aus der eigenen Lebenserfahrung heraus verfasste und insbesondere sein Volpon ein Selbstporträt sei. Der Shakespeare-Herausgeber und Harvard-Professor Harry Levin weist darauf hin, dass Ben Jonson in seinen Stücken seine Zeitgenossen verspottete und seine Beobachtungen des Lebens in London verarbeitete. Marchette Chute schreibt in ihrer Jonson-Biografie, dass viele Handlungsstränge in seinen Stücken auf tatsächlichen Ereignissen beruhen. Der Shakespeare-Forscher Edward Berry erklärt, dass autobiographische Impulse charakteristisch für viele Schriftsteller der Tudorzeit sind und Sir Philip Sidney zum Beispiel sich selbst und die angebetene Penelope Rich in Astrophil and Stella verdeckt zu erkennen gab. Zu wenig ist über das Leben vieler Zeitgenossen Shakespeares bekannt, aber mehrere Kommentatoren zu Edmund Spenser und Christopher Marlowe halten ebenfalls dafür, dass sich ihr Leben in ihren Schriften widerspiegeln müsse. Wie Professor Berry in seinem Werk über Sidney abschließend feststellt, stellen autobiografische Einsprengsel ein wesentliches Merkmal der elisabethanischen Literatur dar.

Shapiros Haltung gegenüber Autobiografie ist zudem eklatant widersprüchlich, denn einerseits verwirft er sie rundweg für das elisabethanische und jakobinische Zeitalter, anderseits gibt er sich davon überzeugt, dass Shaksperes persönliche Erfahrungen in seine Stücke eingingen. Da jedoch über elisabethanische Schriftsteller so gut wie nichts bekannt sei, fehlt es in dieser Hinsicht an Beweisen für die Identität von Shakspere als Shakespeare.

Shapiro verschweigt, dass von Oxfords Leben recht viel bekannt ist, so dass seine Biografie auf Übereinstimmungen mit den Stücken hin geprüft werden können. Die oxfordianischen Studien sind selbstverständlich voll solcher Übereinstimmungen. Neuere Beispiele dafür sind Mark Andersons Shakespeare by Another Name und die oxfordianischen Editionen von Macbeth und Othello.

Shapiro verurteilt die Versuche von Stratfordianern, Shakespeares Werk von einem biografischen Ansatz her zu deuten, als rein spekulative Übungen, die nur dazu führten, die Oxfordianer zu ermuntern, sich noch wilderen Spekulationen hinzugeben. Als Beispiel nennt er Hank Whittemores auf dessen Buch The Monument beruhende Ein-Mann-Show. Shapiro lobt Whittemores Darbietung, die von den Zuhörern mit Begeisterung aufgenommen wurde, als fesselnd. Er schiebt aber nach, dass er selbst das Theater entgeistert ob etwas, das er als Mischung aus Prince-Tudor-Verschwörungtheorie, Pseudogeschichte und autobiografisches Phantasma betrachtet, verlassen hat.

Im Allgemeinen unterscheidet Shapiro nicht klar zwischen zwei verschiedenen Methoden der biografisch unterlegten Forschung. Die erste Methode besteht darin, von den belegten Fakten aus dem Leben eines Schriftstellers auszugehen und von dort zum Werk zu schreiten, um festzustellen, inwiefern diese Fakten im Werk reflektiert sind. In diesem Fall führt der Weg vom Leben zum Werk. Diese Methode is vom wissenschaftlichen Standpunkt die sauberste Methode. Die andere Methode ist problematischer. Sie wählt den umgekehrten Weg vom Werk zum Leben. Hier meldet sich alsbald die Einbildung zu Wort und Fiktion wird zu einem Quell, aus dem gern geschöpft und erschaffen wird, wobei Hypo-these leicht zu Hyper-these gerät.

Einer von Shapiros Hauptvorwürfen gegen Oxfordianer lautet, dass sie die Werke, die Sonette etwa, auf biografisches Material abklopften, das für Oxford spricht. Freilich stimmt dieser Vorwurf nicht. Wie alle gewissenhaften Biografen gehen die Oxfordianer von den bekannten Fakten aus Oxfords Leben aus, um erst dann zu versuchen, Spuren davon im Werk zu finden, die als Beweis für seine Verfasserschaft verwertbar sind. Für Shapiro ist jede biografische Methode unzulässig, einerlei ob sie vorwärts von Leben zum Werk oder rückwärts vom Werk zum Leben schreitet.

Nach einem Streifzug durch hundertfünfzig Jahre Geschichte der Verfasserschaftsdebatte setzt Shapiro auf den letzten sieben Seiten mit weiteren unbewiesenen Behauptungen zum Schlussspurt an: zu seinem Credo, dass ein Autor seine Werke bar jeglicher persönlicher Erfahrung rein aus der Einbildungskraft erschaffen könne. Die Frage, ob Shakspere je in Italien war, wird damit in die Unerheblichkeit komplimentiert. Shakspere bräuchte nicht nach Italein zu reisen, um Detailkenntnisse über Venedig oder Verona zu erwerben. Auf die Frage, wie er dies zustande gebracht hätte, lautet seine Antwort, dass wir es einfach nicht wissen. Er könnte es aus Büchern erfahren haben, Bücher, die er besaß oder die er ausgeliehen hatte. Er mag an einem sonnigen Nachmittag in St Paul's Churchyard herumgeschlendert sein und an den Bücherverkaufsständen blätternd Kenntnisse und Ideen eingeatmet haben. In den Theatern habe es womöglich Billigausgaben der Klassiker gegeben, an der sich ein Schauspieler und Stückeschreiber in seinen Mußestunden hätte zugute tun können... Wird der unvoreingenommene Leser sich an diesen vagen Vermutungen zugute tun wollen?

Es ist Nonsens, versichert Shapiro, dass nur Aristokraten zu all diesen Büchern Zugang gehabt hätten, die als Quellen der Stücke ersichtlich sind. Shakspere könnte seine Kenntnisse der Welt, einschließlich all dessen, was er über Italien wusste, aus Gesprächen mit allerlei Reisenden gewonnen haben. Für sein Wissen über die Falknerei, die Jagd und andere aristokratische Gepflogenheiten sowie über den Lebensstil von Monarchen und Höflinge könnten ihm seine Anwesenheit bei Hofe im Rahmen der Aufführungen seines Ensembles in den Palästen in Windsor, Greenwich, Richmond usw. die Gelegenheit geboten haben. Seine Ausbildung an der Stratforder Grammar School stand der Ausbildung, die heute eine Universität bietet, kaum nach, ja, sie war dem typischen Kenntnisstand überlegen, dessen sich der Absolvent eines Studienlehrgangs mit klassischer Philologie heutzutage rühmen könne. Sein Wortschatz war nicht reicher als der anderer gebildeter Männer oder Frauen seiner Zeit. Die Besucher des Globe-Theaters und der anderen öffentlichen Theater hätten keine Schwierigkeiten gehabt, die Shakespeare-Stücke zu verstehen. Shakspere habe sich in alle Rollen der Stücke versetzen können, er bräuchte dafür nicht die geringste eigene Erfahrung. Literarische Schöpfung ist ein Geheimnis, ein Mysterium. Große Schriftsteller besitzen eine überwältigende Einbildungskraft.

Shapiros schnellschüssiges und über den Daumen gepeiltes Pläydoyer für Shakspere muss notgedrungen oberflächlich und blutarm bleiben. Der Leser, der sich nicht von vornherein darauf festgelegt hat, seinen Rettungsversuch für den Mann aus Stratford als messianische Leistung anzubeten, dürfte Schwierigkeiten haben, die lüftigen Mutmaßungen und geweihräucherten Hosiannas auf die gottähnliche Allmacht schrifstellerischer Einbildungskraft gänzlich ohne Unpässlichkeiten zu überstehen. Wundern muss man sich bei alledem auch über Shapiros Tadel für die sich frank und frei zur Einbildungskraft bekennenden Biografien von Harvard-Professor Stephen Greenblatt und Rene Weis vom University College London. Er hätte auch Jonathan Bate von der Warwick University in diesen Tadel mit einbeziehen können.

Kommt es denn überhaupt darauf an, wer all diese großartigen Stücke und Gedichte schrieb? Das Fazit, das Shapiro zum Schluss seines Buches zieht, ehrt ihn, denn für ihn kommt es entscheidend darauf an, dermaßen entscheidend, dass eine Entscheidung unausweichlich wird. Es kommt darauf an, wie wir das letzte Viertel des sechzehnten und das erste Viertel des siebzehnten Jahrhunderts sehen, dass wir sehen, wie sehr sich diese Zeit von der unsrigen unterscheidet. Allerwichtigst ist, mit welcher Einstellung wir die Stücke lesen: als Stücke eines Dramatikers, der nicht der eigenen Lebenserfahrung und nur der besonderen Einbildungskraft bedurfte, um die Shakespeare-Stücke zu verfassen, oder als die Stücke eines Dramatikers, dessen Lebenserfahrung seine mächtigen literarischen Schöpfungen inspirierten, beeinflussten und bereicherten. Im Gegensatz zu vielen orthodoxen Shakespeareforschern, die lieber gar nicht zur Wahl schritten, sei die Wahl zwischen beiden Vorstellungen, so Shapiro, eine drastische und folgenreiche.

Ganz gewiss enthält Shapiros Buch vieles, was aus oxfordianischer Sicht zu kritisieren und zurückzuweisen ist: substantielle Auslassungen, verzerrte Apodikta, unbegründete Meinungen, Felschlüsse, die üblichen Strohmannargumente, widersprüchliche Stellungnahmen und einige rhetorische Taschenpielertricks. Zeitweise ist die Art und Weise, wie er mit der Evidenz umspringt, gewunden und windig, um clever seine fragwürdigen Interpretationen zu überspielen. Die Oxfordianer hätten bestimmt lieber ein Buch von einem etablierten Shakespeareforscher willkommen geheißen, das die Tür zu einer offenen Diskussion weiter aufgestoßen hätte. Nicht zu verkennen ist aber, dass Shapiros Buch diese Tür zumindest doch einen Spalt breit geöffnet hat.

Und so kann Shapiros Buch unterm Strich von den Oxfordianern doch begrüsst werden: von einem etablierten Shakespeareforscher kommend, wäre weit größere Unfairness und Verbissenheit keine Überraschung gewesen. Shapiro nimmt den oxfordianischen Standpunkt verhalten ernst, mag sich seiner Bewertung auch immer wieder leiser Spott beimischen. Und schließlich anerkennt er, dass der Oxfordianismus etwas erreicht hat - nicht zuletzt die Veröffentlichung seines eigenen Buchs, was er nicht explizit sagt, implizit jedoch umso deutlicher. Das allein ist Grund genug für eine positive Beurteilung. Hinzu kommt das subversive Bild auf dem Deckblatt: der fehlende Kopf spricht, ob gewollt oder nicht, dem Versuch des Stanley Wells, uns ein adrettes Shakespeare-Porträt unterzujubeln, geradezu Hohn und muss uns fast wie eine malerische Allegorie auf die Legitimität der Verfasserschaftsfrage bedünken.

Shapiro anerkennt auch, dass wir über Shakspere als Shakespeare sehr wenig wissen. Er nimmt jene angesehenen Personen, die Shakspere mit großer Skepsis und Oxford mit Wohlwollen begegneten, durchaus ernst. Er leugnet nicht die Konkordanzen zwischen Oxfords Biografie und Shakespeares Werken. Er ist milde ironisch, nie jedoch beizend sarkastisch wie etwa Samuel Schoenbaum und andere hartgesottene Stratfordianer, er bedauert die mondgelandeten Biografien Greenblatts und Weis'.

Das sture non sequitur, das in akademischen Kreisen im Allgemeinen gegen eine Diskussion der Verfasserschaftsfrage zur Pflicht erklärt worden ist, stellt Shapiro fest, hat das Thema vielleicht aus der akademischen Welt, aber nicht aus der Welt überhaupt geschafft. Er räumt weiter ein, dass sich die akademische Welt inzwischen nicht mehr ganz so hermetisch gegen Oxfords Anwärterschaft abschottet. Oxford, das sieht auch er so, gilt als die glaubwürdigste Alternative, glaubwürdiger für immer mehr Leute. Und das Internet hat das Deutungsmonopol der Akademie und der Presse unterminiert und dem Oxfordianismus ein Forum bereitgestellt.

Allein dies, dass ein Lehrstuhlinhaber für Englisch und vergleichende Literatur an der Columbia University, ein führender Shakespeare-Forscher, der Verfasser zweier Bücher über Shakespeare, es nicht als Zeitvergeudung betrachtet, drei oder vier Jahre lang über die Verfasserschaftsfrage zu forschen und ein Buch darüber zu schreiben, kann der Debatte nur zugute kommen. Shapiros Buch könnte, beabsichtigt oder nicht, bei dem an Shakespeare interessierten Leser die praktische Erwägung hinterlassen, dass es mit einem Achselzucken, einem Kopfschütteln, einem loslippigen Witz oder einem Generalvorwurf des Snobismus oder des äffischen Herumkraxeln auf Stammbäumen (und benimmt sich ein Großteil der britischen Presse derzeit nicht wie das „demokratische" Äffchen auf der Straßenleier?) vielleicht doch nicht getan ist. Und deshalb wünsche ich mir mehr Bücher wie Professor James Shapiros Contested Will: Who Wrote Shakespeare?.

Richard F. Whalen ist der Verfasser von Shakespeare: Who Was He?: The Oxford Challenge to the Bard of Avon, gemeinsnam mit Professor Daniel Wright Herausgeber der Reihe The Oxfordian Shakespeare Series, gemeinsam mit Ren Draya Herausgeber und Kommentator von Othello und Herausgeber/Kommentator von Macbeth in der gleichen Reihe. Er ist vormaliger Präsident der Shakespeare Oxford Society und schreibt regelmäßig Beiträge zu dem Shakespeare Oxford Newsletter.

Übersetzt von Robert Detobel